Im Seemental unterwegs, Pfingstmontag, 25.5.2015

 

Mähbeginn tief in der Nacht

WANDERUNG Erhard Müth führt Geschichtsinteressierte durch das Seemental / Erinnerungen an Landwirtschaft vergangener Tage

OBER-SEEMEN - (em). Auf Spurensuche in der Vergangenheit des Seementals gehen – dieser Einladung von Erhard Müth (Geschichtskreis Gedern und Geschichtsverein Seemental) folgten 50 Interessenten. In der Kirche Ober-Seemens machte Müth auf Besonderheiten aufmerksam, von den mittelalterlichen Freskenresten im Chor bis zum schönen spätbarocken Orgelprospekt mit Engeln.

Nicht weit davon konnte er Ober-Seemens Alte Schule zeigen, an der einen Gebäudeseite mit Sichtfachwerk, dann die ehemalige Synagoge, einem Basaltbruchsteinbau mit Sandstein-Lisenen und ebensolchen Fensterbögen, um 1900 erstellt. Müth, in der Region aufgewachsen und ebenso in der Geschichte des Seementals zu Hause, skizzierte das Ende der jüdischen Gemeinde des Seementals, jener Mitbürger, die noch emigrieren konnten wie auch derjenigen, die in den Lagern ermordet wurden.

Auswärtige wanderten ebenso mit wie „Alt-Seementaler“, Müth ging gern auf deren Beiträge ein, etwa auf die Erinnerungen Rudolf Winters, und so entwickelte sich eine angeregte „Erinnerungsroute im Dialog“.

Ein Blick in das mächtige ehemalige Vorwerk, das die Grafen zu Stolberg als Grundherren im 18. Jahrhundert hatten bauen lassen, nutzte Müth zu einem Rückblick auf das Fron- und Abgabenwesen. „Dann war hier der Hefe-Sauer“ – Winter und andere Senioren erinnerten an die spätere Nutzung als Produktionsstätte. Durch die Feldflur führte der Weg zu einem Punkt mit weiter Fernsicht bis hinüber zum Spessart. Müth las eine Beschreibung der Heuernte noch Anfang des letzten Jahrhunderts: Mähbeginn nachts um zwei, erstes kompaktes Frühstück aus Brot, Käse und Schnaps um zehn, den ganzen Tag beschäftig mit Rechen und Wenden des Heus, in der Abendkühle noch einmal mähen, beim Dunkelwerden nach Hause zur ersten warmen Mahlzeit von Kartoffeln und „Latsch“ (Salat), Feierabend um zehn und so in Wiederholung bis zum Ende der Heuernte – beneidenswert war das Leben der Bauern früher nicht!

In Müths Heimatort Nieder-Seemen hat Ortsbürger Stefan Jäger alte Landwirtschaftsgeräte und Werkzeuge gesammelt und präsentiert sie in seiner Scheune. Dies konnte die Gruppe ebenso betrachten wie die denkmalgeschützte Ortskirche in einer Aue des Seemenbachs. Eine dendrochronologische Untersuchung von Dachbalken konnte Holz aus dem 13. Jahrhundert nachweisen, die weitere Baugeschichte liegt im Dunkeln. Durch den feuchten Untergrund und unsachgemäße Renovierungen in der Nachkriegszeit wies die Kirche extreme Bauschäden auf. Eine achtjährige Sanierung war nötig, die 2004 abgeschlossen wurde. Gastfreundlich bewirtete Müths Frau Christa die Wanderer dann mit Kaffee und Kuchen. Bei einem Blick in die Wiesen konnte Müth auf ein Phänomen aufmerksam machen: der Gute Born, eine Quelle, der man im 18. Jahrhundert und länger Heilkraft zuschrieb, tritt nur in großen Zeitabständen aus und versiegt dann wieder.

Auch in Mittel-Seemens Kirche, ebenfalls grundständig saniert, konnte man hochmittelalterliche Bauteile nachweisen. Kirchenvorsteherin Waltraut Heidenreich erläuterte die 2012 restauratorisch gesicherten Fresken, deren Entstehung sie in der Stauferzeit vermutet. Am Ausgangspunkt Ober-Seemen verabschiedeten sich die Wanderer mit Dankesworten.

Kreisanzeiger vom 2.6.2015

 

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Ehemalige Synagoge Ober-Seemen

 

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In der ev. Kirche Nieder-Seemen

 

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Die Wandergruppe in Nieder-Seemen

 

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